Internetseite von Jörg Zink
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Wie politisch darf ein »Wort zum Sonntag« sein?

Dieser Aufsatz von Jörg Zink beschreibt ein bis heute sehr aktuelles Thema. Er wurde 1978 in einer Festschrift zum 70. Geburtstag seines ehemaligen Doktorvaters, des Hamburger Theologen Helmut Thielicke veröffentlicht [Hinrich C.G. Westphal (Hrsg.): Christsein in Zukunft. Freiburg i. Br., Herder, 1978].

Gesichtspunkte für den Beitrag der Kirche im Fernsehen


Fußball und Folter

25. Juni 1977. Es war ein Musterfall. Die Fußballwelt begann nach Argentinien zu blicken. Ein Arzt sprach das »Wort zum Sonntag«: Ob es nicht Anlass zu geistlichem Nachdenken gebe, dass ein Land wie Argentinien unseren Herzen so nahe sei, wenn dort Fußball gespielt werde – so nahe, als liege es nebenan –, und dasselbe Land hinter dem Mond liege, wenn dort die Opfer von Gewalt, Folter und Menschenverachtung nach uns schrien? Ob der Fußball da keine Mission habe?

Der Präsident des Deutschen Fußballbundes reagierte schnell und getreu der Weise eines Verbandschefs. Er forderte vom Intendanten des Saarländischen Rundfunks Maßnahmen gegen solchen Missbrauch kirchlicher Redefreiheit. Der Intendant pflichtete ihm bei, und sie vereinten sich in der christlichen Überzeugung, das »Wort zum Sonntag« habe »doch wohl in erster Linie den Menschen zu Besinnlichkeit auf den nahenden Sonntag einzustimmen«. Die Erregung der ersten fünf Minuten nach der Sendung bestimmte für Wochen den Notenaustausch zwischen Fußballern, Fernsehleuten und Kirchen, der Anlass hingegen, der, wie auch immer, geistlichen Nachdenkens bedurft hätte, geriet in Vergessenheit. Wenige Minuten lang hatte eine Sache zur Diskussion gestanden. Die folgende Auseinandersetzung aber verlegte sich auf das Problem, ob dieser Sprecher gedurft hatte, was er tat. Aus der Sachfrage wurde eine Rechtsfrage, und die fand sich am Ende – da die Beteiligten des Streitens bald müde waren – dort, wohin sie nach bundesdeutscher Sitte gehörte: unter dem Teppich. Ergebnis: keines. The show must go on.

Erste Übungen

Sommer 1946. Ich erinnere mich erster Begegnungen in den Hörsälen der Nachkriegszeit. Vorangegangen war die Zeit im Stacheldrahtgehege der Kriegsgefangenschaft. Dort hatten wir ein Buch – aus Genf geliefert – von Hand zu Hand weitergegeben: »Fragen des Christentums an die moderne Welt«, geschrieben von einem gewissen Helmut Thielicke. Nach der Heimkehr fanden wir uns, ein Haufe von rauen Spätstudenten, in Tübingen als Gäste im Haus des Verfassers. Es gab nicht nur echten Tee. Es gab Gespräche. Es gab Versuche mit ersten Rundfunksendungen über das theologische Studium. Es war vor allem immer wieder zu hören, Theologie habe es mit der Welt zu tun. Es gebe keine weltliche Lebensfrage, die nicht auf ihrem Grunde eine geistliche sei und also ein Thema der Theologie. Schlager wurden theologisch interpretiert, Politik war Gegenstand und Rahmen geistlicher Rede. Das Haus des Professors wurde zur Spielwiese für Leute, die das Spielen eigentlich schon verlernt hatten. Hätte man uns damals gefragt, ob Fußball und Folter in einem Wort der Verkündigung gemeinsam Raum hätten, wäre uns schon als krassen Anfängern die Gegenfrage selbstverständlich gewesen: Wo denn sonst?

Ein halbes Menschenleben später muss die ungenaue Frage erlaubt sein, was denn von den ersten Gedanken, die in jenem Haus am Österberg geprüft worden waren, inzwischen sein Gewicht behalten habe. Was haben wir inzwischen an öffentlicher Rede formuliert? Wie stellen wir heute unsere Fragen an unsere Zeitgenossen? Wie verstehen wir – ich rede von meiner Theologen- und Pfarrergeneration – uns und unser Mandat an den Mitteln öffentlicher Kommunikation?

Ich frage so nicht, weil ich daran interessiert wäre, eine Theologie der Publizistik zu entwerfen. Es scheint mir nicht recht sinnvoll. dass ein in der Wolle gefärbter Praktiker, der sich lieber von seiner Nase als von Prinzipien leiten lässt, sozusagen eine Theorie seines publizistischen Geruchssinnes anfertigt. Man mag ja uns Theologen den beiden Urformen des menschlichen Daseins zuordnen, den Jägern und den Hirten, und von den Jägern der Probleme reden und von den Hirten der Menschen. Der eine wird über mögliches Tun nachdenken, der andere möglichst Bedachtes tun. Der eine wird neuen Themen für die Arbeit der Kirche nachsteigen, der andere seine Herde von Grasplatz zu Grasplatz geleiten. Der eine wird über das »Wort zum Sonntag« ein Buch schreiben, der andere wird es, gut oder schlecht, praktisch versuchen. Mein Platz ist für die Zeit dieses Lebens jedenfalls eindeutig bei den Hirten.

Als solcher möchte ich den folgenden Überlegungen vorausschicken, dass sich nach meiner Überzeugung das Schicksal der Kirche niemals durch ihre Rede in den öffentlichen Medien entscheiden wird. Ich kann mir leicht eine Kirche denken, die auf alle öffentliche Selbstdarstellung verzichtet und dabei nichts preisgibt, das sie zur Kirche macht. Ich kann mir aber keine Kirche vorstellen, die zugunsten öffentlichen Redens die konkrete Zuwendung zum einzelnen Menschen vergäße und dabei Kirche bliebe. Die Zukunft der Kirche liegt meines Erachtens in einer Verkündigung, die sich als Seelsorge, und in einer Seelsorge, die sich als Verkündigung versteht. Sie liegt im Evangelium an die Mühseligen und Beladenen, die der Hirte einzeln aufsucht. Das ist nicht neu, aber es mag als Fazit von fünfundzwanzig Jahren publizistischer Arbeit eine Wiederholung wert sein.

Der Pfarrer im Supermarkt

Der Schlagersänger Ralf Bendix wurde einmal gefragt, welche Sendung des Deutschen Fernsehens er am liebsten anschaue, und er antwortete: »Das Wort zum Sonntag.« Nach einer Begründung gefragt, meinte er: »Das ist die beste Einmann-Show des Deutschen Fernsehens.« Er mischte sein Urteil aus Anerkennung und Bosheit und deutete damit zugleich die ganze Fraglichkeit an, in die das beste, ehrlichste »Wort zum Sonntag« alsbald gerät, sobald es im Panoptikum des Gesamtprogramms erscheint. Hausbackene Engelchen lächeln den Verbraucher durchs Programm. Der Krimi wirft den Raubtieren ihren Fraß wie einen Fetzen rohen Fleischs durchs Gitter. Die Fernsehmutti jubelt über die verdreckten Hosen ihres Sohnes, weil sie nichts lieber tut, als ihr Hauswaschmittel in die Maschine zu schütten. Die Tagesschau, gemischt aus Prominentenrevue und Gruselstory, beweist zum tausendsten Mal, dass die Menschheit unfähig ist, auch nur einen Tag auf dieser Erde vernünftig zuzubringen. Die Kommentatoren zersetzen das Ansehen der Vaterbilder, von denen die Seelenruhe des Bürgers lebt, und die Journalisten sägen an der heilen Welt, in die der Bürger sich eben niedergelassen hat. Das ist Fernsehen.

Aber Spott beiseite. Es kann einem schon der Mut entfallen, über das »Wort zum Sonntag« Tapferes in Alltagsworte zu fassen, nachdem man diesen Mut mehr als aufgebraucht hat mit dem Versuch, es am Vorabend vieler Sonntage immer wieder, gut oder schlecht, jedenfalls tatsächlich, abzufeuern. Als Anbieter sozusagen im Supermarkt: Western – Lottozahlen – Nachrichten – Sportbericht – Wetterkarte – Programmvorschau – Wort zum Sonntag – Bundesliga. Dies oder Ähnliches ist die Reihenfolge. Eine großartige Zeit in schrecklichem Kontext.

Die Statistik schildert das Problem auf ihre Weise. 72 % der Bevölkerung gehören zu den gelegentlichen, häufigen oder regelmäßigen Zuschauern, zum weitesten Kreis. Der engste Kreis umfasst 15 % und besteht aus den Stammkunden. Der weiteste Kreis zeigt nach seiner Struktur keine signifikanten Unterschiede zur Gesamtheit der Fernsehzuschauer. Der engste Kreis weicht dagegen beträchtlich ab. Er umfasst mehr Frauen als Männer, mehr ältere Menschen als jüngere, mehr Mittelschicht als Akademiker, mehr die Einwohner kleiner Orte als großer Städte. Dennoch ist auch dieser Kreis weit weniger homogen als der Zuschauerkreis anderer kirchlicher Fernsehprogramme.

Die Zahlen widersprechen indessen seit Jahren dem allgemeinen Gerede vom schlechten Ruf dieser Sendung, wie es unter Journalisten und Pfarrern im Schwange ist: 60–70 % beurteilen das »Wort zum Sonntag« im Jahresmittel als gut oder ausgezeichnet. 15 % schauen zu, weil sie auf die folgende Sendung warten. Der Bericht vom rasant ansteigenden Wasserverbrauch während der Sendung erweist sich bei näherem Zusehen als freundlicher Spott. Die Sehbeteiligung liegt immerhin zwischen 20 und 35 %, der Beurteilungsindex bei + 2,8. Das ist eine Zahl, nach der sich nicht nur politische Magazine, sondern auch manche Unterhaltungssendung sehnlich ausstrecken.

Es scheint mir ein nicht auszurottender Irrtum zur Selbstbestrafung neigender Theologen, das religiöse Thema begegne keinem Bedürfnis oder bleibe ohne Echo. Der publizistische Aufmerksamkeitswert kirchlicher Verlautbarungen ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Worüber sich die Kirchen intern auseinandersetzen, das wird zur Sache der Allgemeinheit. Zu öffentlichen Fragen werden Meinungen und Urteile der Kirchen gesucht, und das Echo religiöser Sendungen ist breiter und differenzierter, vor allem auch inhaltlich gewichtiger als das Echo sämtlicher übrigen Sendungen. Beim Süddeutschen Rundfunk ist das »Geistliche Wort« in der Frühe der Werktage die absolut meistgehörte Sendung des ganzen Programms.

Vier Gruppen von Zuschauern des »Worts zum Sonntag« lassen sich unterscheiden:

Die erste besteht aus denen, die in ihrer Kirche zu Hause sind und nun Orientierung, Klärung von Problemen, vor allem aber Stabilisierung ihrer oft unsicheren Meinungen erhoffen.

Die zweite macht von der Kirche keinen eigenen Gebrauch, sie hält aber die Kirche für einen ordnenden Faktor des öffentlichen Lebens und erwartet von ihr, dass sie ihre herkömmliche Rolle spielt. Es gibt Gegner und Verächter der Kirche, die gleichwohl die Kirche gestärkt sehen möchten, damit alles beim Alten bleibe.

Die dritte Gruppe – sie nimmt am stärksten zu – sucht Information über religiöse Fragen oder Erklärung von Unverständlichem und Merkwürdigem am christlichen Glauben, nicht unbedingt, um sich ihm anzuschließen, sondern um sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Erst die vierte besteht aus jenen, die der Kirche gleichgültig gegenüberstehen und für die Zukunft nichts von ihr erwarten.

Das bedeutet, dass eine starke und zunehmende Gruppe offen ist für das aktive Mitspiel der Kirche in den Auseinandersetzungen dieser Zeit. Ihnen gegenüber gilt es, Verborgenes öffentlich zu machen. Soziale Motivation zu bewirken. Ein Gefühl für Barmherzigkeit zu wecken. Den Sprachlosen eine Stimme zu sein. Robert Geisendörfer, der Pionier der evangelischen Medienarbeit, meinte einmal, Aufgabe des kirchlichen Fernsehens sei zu einem wichtigen Anteil »der öffentliche Besuch bei den Erniedrigten und Beleidigten«.

Das aber bedeutet, dass die politische Dimension vom »Wort zum Sonntag« voll ausgefüllt werden muss und dass es seinen Sinn verfehlt, wenn es den Weg des Unanstößigen geht. Denn anders als durch Anstoß setzt sich Liebe nicht öffentlich durch, wird Hoffnung nicht laut, werden die Gewissen nicht wach.

Was heißt »politisch«?

Offenbar, so ist zu vermuten, gibt es eine allgemein anerkannte Definition des Politischen nicht. Oder nicht mehr. Politik war, es ist noch nicht lange her, die Kunst, menschliche Gruppen zu führen und zu ordnen. Das Wort Politik aber begrenzte den Gebrauch des Begriffs »Gruppe« auf Verbände mit ausgeprägter Befehlshoheit. Es ging also in der Politik um die »Staat« genannte Herrschaftsordnung und ihre Sicherung nach innen und außen.

Inzwischen hat das Wort sowohl seinen Inhalt als auch seinen Zusammenhang mit irgendwelchen ethischen Kategorien verloren. Politik ist Machtausübung im Kleinen und im Großen, öffentlich oder privat, versteckt oder offenkundig. Politik ist heute alles oder nichts. Wer in irgendeinem Bereich Bestimmtes will oder bewirkt, treibt »Politik«. Bewusster Umgang mit Menschen ist »Politik«. Schutz der Umwelt ist Politik, Warnung vor den Gefahren des Wachstums, Export in Drittländer, Fußball in Argentinien: Dies alles ist Politik.

Politik war früher eine Sache für »die da oben«. Sie ist heute auch die Sache privater Bürger und Bürgergruppen. Politik drückt sich im Aufkleber am Auto aus oder im Knopf am Anzug. Politik ist Rede und Gegenrede, privat und öffentlich und auf allen Ebenen. Das bedeutet aber zugleich, dass heute niemand wird zeigen können, an welcher Stelle ein »Wort zum Sonntag« die Grenze zur Politik überschreite.

Es erscheint in diesem Zusammenhang wie ein Relikt aus obrigkeitsbeflissenen Zeiten, wenn selbst einige prominente politische Journalisten politische Berichterstattung als Markt redender und sich empfehlender Parteipolitiker aufbereiten: Politik als Selbstdarstellung von Regierung und Opposition in schöner Einseitigkeit oder ebenso schöner Ausgewogenheit. Soll hier das Maß liegen, was als Politik zu gelten habe, dann ist für das »Wort zum Sonntag« eine Grenze erst dort zu vermuten, wo ein Parteipolitiker selbst das »Wort zum Sonntag« spräche. Es wird von der Zukunft der politischen Sendungen und von der Präsenz des politischen Themas auch in anderen als politischen Programmen abhängen, ob das Fernsehen als Ganzes zum Markt und die einzelnen Sendungen zur Ware degenerieren und dabei die Politik die Rolle einer gefällig verpackten Seife übernehmen wird. Für das »Wort zum Sonntag« aber ist es eine Lebensfrage, dass es die Grenzen zum Politischen hin nicht fürchtet. Persönlich formuliert: Wenn es denn schon Grenzen geben soll, dann will ich die Grenzen sehen und sie überschreiten.

Politisches Reden ist endgültig nicht mehr einseitig als Verbeugung vor der Obrigkeit oder als untertänige Kritik an ihr zu begreifen. Es betrifft das Menschenleben überhaupt und insgesamt und also die theologische Reflexion in ihrer Gänze.

Was heißt heute »religiös«?

Fragen wir nach den Grenzen zwischen politischem und religiösem Bezug einer christlichen Sendung, dann stellt sich alsbald heraus, dass das Wort »religiös« einen ähnlichen Prozess der Entgrenzung durchgemacht hat. Es mag Zeiten gegeben haben, in denen die Menschen von der Kirche nichts erwarteten als Trost, Orientierung für innere Fragen, Klärung der Bilder und Gedanken des Glaubens. Bei vielen ist diese Erwartung so ungebrochen wie je, aber neben ihr gibt es Erwartungen gänzlich anderer Art.

Die Erfahrung des Dritten Reichs, die Erfahrung der mitteldeutschen Kirchen mit dem sozialistischen Staat, die bedrohliche Gesamtsituation der Menschheit, die sich in politischen wie ökologischen, in militärischen wie medizinischen Kategorien schildern lässt, die neue Sensibilität gegenüber der Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen, gegenüber Terror und Gewaltherrschaft haben ein Klima geschaffen, in dem zu praktisch jeder weltlichen Frage eine religiöse Antwort erwartet wird, von denen jedenfalls, die sich mit dem Elend der Menschheit nicht abfinden. Das haben wir in den letzten fünfzehn Jahren doch wohl erfahren: Dass uns fast täglich irgendein neues Thema begegnet, zu dem irgendjemand meint, einer religiösen Hintergrundauskunft zu bedürfen. Und das haben wir doch wohl gelernt: Dass der Katalog dieser Themen praktisch so unerschöpflich ist wie das Leben selbst.

Die religiöse Frage ist die Frage nach dem Sinn. Die Sinnfrage stellt sich aber von jedem Punkt des menschlichen Daseins aus und ist nur zu beantworten, wo das Dasein als Ganzes ins Auge gefasst und gedeutet wird. Aussparungen gibt es nicht.

Und was die Kirche selbst betrifft: Sie stand nach dem Kriege, als wir anfingen, felsenfest und unangreifbar in der nationalen Konkursmasse. Man kannte sie. Man wusste: Dies ist Kirche und dies nicht. Dies ist kirchliche Rede, dies ganz ebenso gewiss nichtkirchliche. Aber was soll uns heute diese Unterscheidung? Wenn wir »Kirche« sagen, schrumpft uns einerseits der Gegenstand unserer Vorstellungen auf einen kleinen Kern von Funktionären zusammen, andererseits fließen uns die Grenzen konturenlos hinaus überallhin, wo Menschen sind, wo also Fragen sind, wo also gesprochen, gelebt, gezeigt werden muss, was denn das Evangelium von Jesus Christus den Menschen sage. Die Zwei-Reiche-Lehre, die etwa auch in der Variante einer die Menschen aus der Welt sammelnden und sie in die Welt sendenden Gemeinschaft gedacht wird, ist in diesen Jahrzehnten immer untauglicher geworden. Wir sind als Christen immer und überall in der Kirche, gleichsam »in dem, das unseres Vaters ist«, und wir sind gleichzeitig immer in der Welt und wir können zwischen beidem nicht trennen. Ergeht in der Kirche nicht das Wort, dann ist dort »Welt«. Ergeht das Wort fernab aller Kirche, dann ist dort die Kirche. Die Kirche ist die Welt, in der das Wort ergeht. Der Geist aber weht, wo er will. Eine Selbstverständlichkeit, ich weiß wohl.

Fassen wir endlich die Weise ins Auge, in der heute Menschen religiöse Fragen formulieren oder ohne Worte ausdrücken, dann begegnen wir einer unüberschaubaren Fülle von Erscheinungen, die mit der Kirche nichts im Sinn haben, die sich aber eben mit religiösen Themen im Verborgenen beschäftigen oder sie mit großer politischer oder kultureller Kraft vertreten. Was aber ist dann gemeint, wenn man sagt, eine kirchliche Sendung habe sich religiösen Themen zuzuwenden? Und wo mögen die Grenzen liegen, die ein Sprecher christlicher Sendungen zur »Religion« und von da zur Politik hin nicht überschreiten soll?

Es ist zu vermuten, dass die Maßstäbe für all dies in den Personen liegen und dass nur die Person die Kontinuität zwischen dem Ursprung und dem Gegenstand ihrer Rede evident macht. Dann aber verwandelt sich die Frage nach den Grenzen der Zuständigkeit in die Frage nach der persönlichen Integrität des Sprechenden.

Schlagbäume

Ich gestehe, dass es mir nicht nur an der Ehrfurcht vor der Obrigkeit fehlt, sondern auch am Bewusstsein, einer Nation anzugehören. Immer, wenn politische Sonntagsredner die »eine Nation«, die im Herzen jedes Deutschen lebendig sei, beschwören, fühle ich mich als räudiges Schaf fernab der Herde. Ich kann den Nonsens von Schlagbäumen in meinem politischen Bewusstsein schlechterdings nicht unterbringen. Ich habe nichts gegen Nationen, ich weiß nur einfach nicht, wozu man sie braucht.

Aber das Ziehen von Grenzen, das Errichten und Bedienen von Schlagbäumen gehört offenbar zu den Grundbedürfnissen des verängstigten Menschen. Dass da einer steht, der die Grenze bewacht, wirkt beruhigend. Dass er eine Uniform trägt, gibt der Grenze die Sinnhaftigkeit, die ihr sonst vielleicht abginge, deren wir aber bedürfen.

Wer lange genug in der Publizistik mitgemischt hat, könnte dicke Bücher schreiben über Leute, die nicht vorhandene Grenzen bewachen, oder über die Kontrolle eines in irgendeinem Sinne grenzüberschreitenden Verkehrs an Stellen, an denen eine Grenze nur ist, weil sonst eine Kontrolle nicht motiviert wäre.

Immerhin: Das Bewachen von Grenzen ist die halbe Politik. Wie soll ein Funkhaus im Frieden leben, wenn nicht jedermann in ihm seine Grenzen bewacht? Wenn die Zuständigkeit von Abteilungen für bestimmte Lebensbereiche nicht sorgsam kontrolliert und Grenzüberschreitungen alsbald angeklagt und geahndet werden? Wie soll bei dem oben genannten Begriff von Politik als Parteienforum Politik publizistisch verarbeitet werden können, wenn nicht die Parteien selbst mit Argusaugen darüber wachen, dass ja keine Seite durch Überschreitung ihrer Anteilsgrenze deren Proporz stört? Und wie soll Politik als publizistische Disziplin funktionieren, wenn nicht die Parteien selbst die Arbeit der Journalisten bestrafen oder belohnen? Wenn also nicht das ganze Funkhaus unter die Kontrolle derer gestellt wird, in deren kritischer Beobachtung der Publizist doch eigentlich seine politische Aufgabe hat? Es ist schwer, keine Satire zu schreiben. Vielleicht darf man sagen, dass die Funkhäuser, die diesem Prinzip der Politik als Parteienforum huldigen, an ihrer zunehmenden Knechtschaft unter den Parteien selbst mitschuldig sind.

Politik kann offenbar ohne Schlagbäume nicht funktionieren. Wer das bezweifelt, studiere das Schicksal von politischen Voten unzuständiger Leute, etwa kirchlicher Denkschriften oder Resolutionen. Offenbar haben die Weltkinder von der Kirche gut gelernt, was von ihr zu lernen war: dass es nämlich unübersteigbare Grenzen zwischen den beiden Reichen gebe. Politik und Religion sind noch immer für viele, vor allem auch für gute Christen unter den Politikern, zwei verschiedene Felder, sortiert zur rechten und linken Hand Gottes.

Ich sehe ein: Grenzen sind nötig, weil zu offene Räume Angst schaffen. Aber wie soll denn die Angst überwunden werden, wenn wir nicht die Kraft finden, eben diese Grenzen zu überschreiten?

Der Pfarrer und sein Amt

Ein Amt hat integrierenden Sinn. Im Wort eines Amtsträgers soll ein Hörer sich als Glied der repräsentierten Gemeinschaft angeredet, vertreten und verstanden wissen. Niemand, der ein Amt innehat, redet privat. Für wen aber redet ein Amtsträger auf dem offenen Forum?

Er redet als ein freier Christenmensch, als ein freier Herr aller Dinge, der niemandem untertan ist außer dem, von dem er sein Amt hat. Er redet mit der Vollmacht dessen, dem das Evangelium von Jesus Christus und sonst nur noch Beiläufiges anvertraut ist. Er redet nicht für die Kirche, sondern für seinen und ihren Herrn.

Er redet aber als ein Christenmensch, der sich freiwillig zum dienstbaren Knecht einer Institution gemacht hat. Er ist also damit einverstanden, dass er mit der Institution gleichgesetzt oder verwechselt, und mit ihr zusammen verachtet, beschuldigt oder verehrt wird. Er redet also – freiwillig – als Stimme einer Organisation, auch wenn er die Organisation nicht für seine Herrin hält.

Er redet als ein freier Christenmensch, der sich – freiwillig – zum dienstbaren Knecht der Menschen gemacht hat, die des Evangeliums bedürfen. Es kann nicht seine Sache sein, um der Kritik willen Kritik zu üben, sei es woran auch immer; es kann nicht seine Sache sein, Polemik zu treiben allein um der Polemik willen. Es kann nicht seine Sache sein, auf dem Wege der Publikumsbeschimpfung Aktualität zu suchen oder globale Angriffe gegen gesellschaftliche Gruppen zu führen, die er für seine Gegner oder für Feinde des Menschengeschlechts hält.

Er wird versuchen, die Voraussetzungen, die er im Bewusstsein und im Unbewussten der Menschen anzutreffen meint, ernst zu nehmen, aufzunehmen, zu artikulieren und behutsam mit den Sehern oder Hörern einen bescheidenen Schritt weiter zu gehen. Er wird um Verständnis werben, er wird verschmutzte Begriffe vorsichtig reinigen, er wird Barmherzigkeit wecken, wo sie fehlt, er wird die Augen öffnen für übersehene Realität, die Ohren für überhörte Stimmen, und wird solcherweise Politik treiben. Und nur in Grenzfällen wird er die Vollmacht in Anspruch nehmen, klar und kantig im Namen der Kirche zu reden, wo vorsichtiges Umschreiben oder ängstliches Schweigen ihn und die Kirche schuldig machte. Er wird freilich, geht er selbst mit offenen Augen durch seine Zeit, bald erkennen, dass diese Art von Grenzfällen häufiger sein Wort fordern als er zunächst meint.

Wer im Massenmedium redet, leidet keinen Mangel an guten Ratschlägen. Einer lautet: Verkündige das Evangelium, sonst nichts! Gut gemeint, auf Postkarten und in Briefen unablässig wiederholt. Der Betroffene wird dem Schreiber recht geben, aber er wird ihn darauf hinweisen, dass das Evangelium »verkündigt« werden muss, das heißt in einer Situation, auf einem Markt, im Gedränge und Geschiebe von tausend praktischen, auch politischen Problemen formuliert, dass zwar das Evangelium selbst keine Politik ist, wohl aber seine Verkündigung durch Menschen, wo sie im Namen Jesu Christi konkret und ernsthaft ergeht. Das kritische Maß, das anzulegen ist, ist der spürbare Zusammenhang zwischen der Stimme Jesu Christi und der Stimme des Sprechenden, zwischen dem Glauben des Sprechenden und seinem Wort.

Denn nicht das autorisiert den Sprecher, dass eine Kirche ihn berufen und ein Funkhaus ihn akzeptiert hat. Seine Autorisation liegt in der Evidenz seiner Person und seines Amtes, seiner Überzeugung, seiner Sprache und seiner Botschaft. Geht diese Kontinuität verloren, so bleibt auf dem einen Ende möglicher Resterscheinungen der Amtsträger, der sein Kirchenchinesisch zelebriert, am anderen Ende der ambitionierte Journalist, der sein Pfarramt vergessen hat und dem seine Kirche nichts mehr bedeutet. Der Pfarrer aber ist weder Regisseur noch Showman, noch Schriftsteller. Er ist Pfarrer, auch wenn er Filme macht oder Texte schreibt. Nur solange er sich so versteht, übt er sein Amt aus. Merke: Ein Pfarrer, dessen Liebe nicht ganz ebenso ungeteilt einer Dorfgemeinde gelten könnte wie den Zuschauern am Fernsehschirm, ist für das Massenmedium ungeeignet.

Der journalistische Hintergrund

Das gilt auch und gerade angesichts der Tatsache, dass der kirchliche Sprecher mit Journalisten aller Art und Couleur in einer Reihe steht, ja, dass seine ganze Arbeit ohne den Hintergrund journalistischer Bemühung gar nicht denkbar wäre. Er untersteht denselben Forderungen nach Präzision der Recherche wie der Behutsamkeit des Urteils wie des kundigen Kommentars. Er untersteht den Gesetzen nicht nur der Sendeanstalt, sondern auch des Programms und der Programmgestaltung.

Nun gehört der Journalist zu den vorwiegend unbequemen Leuten, zu den Leuten, denen selten mit Verständnis und meist mit dem Horror begegnet wird, den der Bürger dem Teufel oder seinen Gehilfen gegenüber empfindet. Indessen wird es Aufgabe gerade eines Pfarrers in diesem Medium sein, dem Journalisten das Recht und den Raum freizuhalten, den ihm nach aller Erfahrung der letzten Jahre niemand sonst auf die Dauer wird freihalten können. Weder Parteien noch Gewerkschaften, weder Verbände noch Regierungen sind im Ernst an freiem Journalismus interessiert, und eine Kirche, der an öffentlichem Lob gelegen ist, wird es auch nicht sein.

Die drei Grundfunktionen des Journalisten, nämlich zu informieren, zu deuten und zu kritisieren, sind lebenswichtig, solange irgend in einer Gesellschaft das freie politische Gespräch möglich sein soll, und niemand sonst wird sie übernehmen können. In einer Zeit, da die Untersuchungsausschüsse in den Parlamenten sich unfähig zeigen, ihre Parteiinteressen zurückzustellen, wenn es gilt, verborgene Sachverhalte aufzudecken, bleibt es dem Journalisten überlassen, die Öffentlichkeit zu informieren – und sei es so, dass die Recherche den Ruch der Schnüffelei in Kauf nimmt. Und das Ende des Journalismus wird dann gekommen sein, wenn es für einen Redakteur opportun und für seine Laufbahn lebenswichtig sein wird, dass er einer Partei angehört.

Reicht aber Politik in alle Lebensgebiete und ist Religion ein Deutungszusammenhang in denselben Gebieten heutigen Daseins, die schon von der Politik durchdrungen sind, dann erklärt sich leicht, warum auch die übrigen Arbeitsfelder des Journalismus – seien es Wirtschaft, Kultur, Technik, Recht, Soziales und was immer – in derselben Überschneidungszone liegen. Das »Wort zum Sonntag« ist nicht allein mit seinen Kompetenznöten, es teilt sie brüderlich mit den übrigen Sparten der Publizistik.

Der Mut, Grenzen zu überschreiten, wird mehr und mehr von jedem gefordert werden müssen, der heute journalistisch arbeitet, und die Kirche wird die letzte öffentliche Instanz sein, die dem Journalisten die Kompetenz wird absprechen dürfen, auch über den Rahmen seines Fachgebiets hinaus zu berichten und zu urteilen.

Der Markt der Meinungen

Eine Unterscheidung ist nötig. Das Gespräch in unserem Lande lebt von Überzeugungen und von Meinungen. Das ist nicht dasselbe. Die Überzeugung eines Sozialisten oder eines Liberalen ist keine Meinung. Der christliche Glaube ist keine Meinung. Eine Meinung bezieht sich auf den Tag, auf eine Situation, auf eine Sachfrage. Eine Meinung ist konkret und beweglich. Ob man Energie aus Erdwärme, Kohle, Kernkraft oder sonstwo herzunehmen habe, ist Stoff nicht für eine Überzeugung, sondern für eine Meinung. Ob man als Christ Soldat sein dürfe, ist für den Betroffenen kein Stoff für eine Meinung, sondern für eine Überzeugung.

Diese Unterscheidung aber hat sich in den Kirchen noch kaum durchgesetzt. Der kirchliche Sprecher im Massenmedium wird immer in Gefahr sein, eine Meinung mit dem Gebot Gottes oder dem Zuspruch des Evangeliums zu verwechseln und sie mit der ganzen Würde seines Amts zu vertreten. Was dem Bekenntnis eines Glaubens wohl ansteht, nämlich das trotzige »Hier steh ich, ich kann nicht anders«, nimmt aber einer Meinung die Glaubwürdigkeit, denn glaubwürdig wird eine Meinung nicht durch den Hall der Stimme, sondern durch offenbare Sachkenntnis.

Eine Meinung zu vertreten muss gelernt werden, denn es heißt, mit dem für einen Theologen ungewohnten Gedanken spielen, der Gegner könnte recht haben. Es heißt, zu gegebener Stunde die Meinung ändern – wenn sich nämlich zeigt, dass die Argumente des Gegners besser sind. Will die Kirche wirksam zu politischen Vorgängen sprechen, dann wird sie sich zu mehr Sachlichkeit und Flexibilität bereit finden müssen, als ihren Deklarationen bisher anzumerken ist. Sie wird aber rasch entdecken, dass man ihre Meinung ernst nimmt und zwar auch dort, wo das Bekenntnis ihres Glaubens kein Interesse findet.

Meinungen leben vom Ausblick auf realisierbare Lösungen. Sie haben Sinn, solange es nicht um den Himmel auf Erden, sondern um die Erde des Menschen geht. Sie haben aber theologischen Rang in dem Maß, in dem der Kompromiss nicht mehr als Fehlform des Handelns gilt, sondern sich aus dem Glauben an die Inkarnation Gottes wie selbstverständlich ergibt. Der Glaube will seine konkrete und vorübergehende Gestalt in einer Meinung. Die Meinung will die Gestaltung oder Veränderung von Wirklichkeit. Der Wirklichkeit aber entspricht es, dass die Meinung um des Tuns und um der Menschen willen flexibel sei.

Was die Zukunft verlangt

Es geht hier um den politischen Aspekt öffentlicher Rede. Das zwingt zu der Rückfrage, wie es denn etwa in unseren Funkhäusern mit der Politik der Rede bestellt sei, also mit der Politik um das freie Wort, der Politik um den Austausch und Ausgleich der Meinungen.

Wir stehen mit dieser Frage am kritischen Punkt heutiger Rundfunkpolitik. Es scheint so, als könnten das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und das System des parlamentarischen, auf Parteien aufgebauten Staatswesens nicht länger im Frieden miteinander leben.

Der Rundfunk nimmt sich die Freiheit, zur Politik unter anderem auch so zu reden, dass es den Parteien missfällt. Die Parteien entscheiden über die Finanzmittel des Rundfunks. In etlichen Funkhäusern beherrschen die Parteien die Aufsichtsgremien. Deutlich ist, dass Redakteurs- und Direktorenposten zunehmend nach Parteibuch vergeben werden und dass in den Redaktionen nicht so sehr die Arroganz derer herrscht, die das Monopol des öffentlichen Redens besetzt halten, als vielmehr die Angst der Zerstrittenen und der Frustrierten.

Das Schreckenswort von der »Ausgewogenheit«, das dem Journalisten in Kürze mit Sicherheit den letzten Rest Mut, den letzten Funken Phantasie, den letzten bescheidenen Einfall abkaufen wird, programmiert eine schwarz-rot parzellierte Medienlandschaft. Eine Art Schrebergarten-Perspektive tut sich auf, und der Bock, der da vor sich hin gärtnert, wird der Parteifunktionär sein, den aus dem Garten fernzuhalten eben die Aufgabe des freien Journalismus wäre.

Der Nationalheilige der Deutschen scheint künftig der heilige Proporz zu sein. Er ist der Vater der Polarisation im Mediengeschäft und anderswo. Sein kommender Enkel wird der Radikalenerlass von links oder von rechts für die Funkhäuser sein.

In den Redaktionen, das ist neu, bilden sich Cliquen politisch Gleichgesinnter oder Igelstellungen Gleichbedrohter. Der Druck von außen ist größer geworden und fast schon selbstverständlich. Früher hat man laut darüber geredet, dann leiser. Heute schweigt man bereits. Der Konflikt hat sich in den einzelnen Redakteur hineinverlegt. Darf er eigentlich, was er bisher so freimütig tat? Nein, eigentlich darf er nicht. Der große Bruder kommt von draußen, breitschultrig und mit der Entschlossenheit des politischen Kämpfers, begabt zugleich mit der Zartheit einer Operndiva, wenn es gilt, Kritik zu ertragen. Der große Bruder hat die Macht. Aber das macht ihn nicht sicher. Er reagiert wie eine angegriffene, eine bedrohte Minderheit. Macht und Angst zugleich treten sich von oben nach unten durch. Das Ende wird ein von den Parteien beherrschter Staatsrundfunk sein.

Für die Kirche liegt hier eine eminent politische Aufgabe. Genauer: Sie liegt in der Rechts- und Strukturpolitik des Medienwesens. Es genügt nicht mehr, dass die Kirchen mit ihrer eigenen Sache zu Wort kommen. Die Verfassung des öffentlich-rechtlichen Systems insgesamt steht auf dem Spiel. Die Kirche wird ethisch und politisch begründete Normen für gesellschaftliche Institutionen dieser Art entwickeln und anbieten müssen. Wenn es denn um Gerechtigkeit, um soziale Verantwortung, um Freiheit gehen soll, dann muss die Kirche – wie durch die einzelne Sendung, so auch durch ihre Medienpolitik – die Kontinuität zwischen »ihrer Sache« und dem menschenwürdigen Leben in der Gesellschaft glaubwürdig darstellen.

Sie wird etwa fragen: Wem nützt das Kabelfernsehen? Wem nützt die Kommerzialisierung des Fernsehens? Wem nützt ein Staatsrundfunk? Und sie wird mit Entschiedenheit den Gruppen gegenüberzutreten haben, die solches Interesse zu ihrem Programm erheben. Kein vordergründiger Nutzen, den ihr das eine oder andere Experiment dieser Art verspricht, wird ihr diese ihre erste medienpolitische Aufgabe abnehmen können. Sie wird im Gegenteil ihre Glaubwürdigkeit darin zeigen müssen, dass sie durch Angebote medienpolitischer Interessengruppen nicht zu bestechen ist.

Die Gefahr, dass sich in der Medienlandschaft wiederholt, was sich auf der Ebene der Terrorismusbekämpfung andeutet – dass nämlich zur Verteidigung der Freiheit die Freiheit, zur Verteidigung des Rechts das Recht preisgegeben wird –, ist dem Kundigen offenbar. Aus Angst vor linken Journalisten, die die freie Meinungsäußerung zu bedrohen scheinen, die Meinungsfreiheit dem Proporz von Parteien zu opfern, wäre die Katastrophe, in der das freiheitliche Rundfunksystem unseres Landes zugrunde ginge.

Die Kirche hat, um dem vorzubeugen, keine Macht. Sie kann nur das Wort einsetzen. Sie kann nur ihre Glaubwürdigkeit abseits ihrer Interessen in die Waagschale werfen. Aber das muss sie tun. Sie muss sein, was zu sein ihr leicht möglich ist: nämlich Gesprächspartner und schützender Raum für Menschen, deren Lebensarbeit mit ihrer Freiheit Sinn hat oder Sinn verliert. Der Journalist muss Heimatrecht in seiner Kirche erhalten und dieses Heimatrechts gewiss sein können. Er hat das Recht zu kritischer Berichterstattung auch über die Kirche, und die Kirche muss den Geist der Freiheit, in dem sie lebt, darin erweisen, dass der kritische Berichterstatter für sie nicht zum Außenseiter gerät.

Die Kirche wird in der Publizistik in dem Maß wirksam sein können, in dem sie sich selbst publizistisch verhält, das heißt an Meinung und nicht an Macht interessiert ist, und in dem sie selbst kein Monopol anstrebt, sondern die offene Situation auf dem Markt der Informationen aushält.

Und das »Wort zum Sonntag«?

Das »Wort zum Sonntag« ist, obschon die zweitälteste noch existierende Sendung des Deutschen Fernsehens, ein eingeschobener, kleiner Beitrag. Ein Zwischenruf sozusagen. Was soll man von dem verlangen, der es spricht?

Zunächst einmal, dass er sich der Nebenrolle, die er im Programm zu spielen hat, bewusst ist. Er ist nicht der große Magier, sondern der schlichte Sprecher. Er ist nicht der Prophet, nicht der Kanzelredner, nicht der Volksmissionar, sondern der Texter, der seine Sache in konzentrierter, gefeilter Sprache zu den Menschen bringt. Der seinen Text durch zwanzig oder dreißig Fassungen hindurch geschliffen hat, jedes Mal einen anderen Menschenkreis vor Augen, jedes Mal andere Sprachmittel erwägend, jedes Mal andere Reaktionen vorausbedenkend.

In seinem Handwerk – und bitte: sowie Theologie praktisch wird, ist sie Handwerk – ist nicht die Dauerreflexion gefragt, sondern die reflektierte Konkretion. Theologie der Massenmedien ist für einen Pfarrer Theologie in Gestalt sachgemäßen Zufassens und Gestaltens. Keine Geste und kein Gag ersetzen handwerkliche Genauigkeit. Gefragt ist das karge, das sparsame Wort. Gefragt ist die dichte persönliche Gegenwärtigkeit, die dem Medium angemessen ist und die das Medium durchbricht.

Gefragt ist ein Wort, dessen Ehrgeiz es nicht ist, ein politisches Wort zu sein, das sich aber nicht scheut, politische Themen frontal anzugehen, wenn dies um der Wahrheit und um der Freiheit in unserem Lande willen nötig ist; das sich den Zwischenrufen, dies sei nicht die Aufgabe des Pfarrers, zwar gesprächsbereit öffnet, sich ihnen aber nicht ergibt. Glaubwürdig ist die politische Rede eines Pfarrers etwa dann, wenn sein Interesse nicht der Erhaltung der Kirche, sondern ihrer Inkarnation unter den Menschen gilt. Wenn es ihm nicht um public relations, sondern um die res publica geht. Wenn seinem Öffentlichkeitsanspruch seine Öffentlichkeitsfähigkeit die Waage hält. Wenn es ihm überhaupt nicht um Öffentlichkeit, sondern um Offenheit geht, also um Wahrheit, um die Transparenz seiner Aussage. Wenn er sich also nicht nach seiner Umwelt richtet, sondern sich an die Welt wendet.

Das Panoptikum will nicht unsere Anpassung, sondern uns selbst. Es erfordert die Einfälle nicht von genialen, sondern von hingebenden Leuten, die ihre Person und ihr Wort in den funktionellen Zusammenhang dieses Kommunikationsmittels einfügen – inkarnativ, wenn man so will – in den Zusammenhang des Mediums, dem sie sich für eine Weile ihres Lebens um der Menschen willen verschrieben haben.